2020

Space Weather Jahreszusammenfassung

 
Flares / Sonneneruptionen:

Flares (Sonneneruptionen) sind extreme Strahlungsausbrüche auf der Sonnenoberfläche, die meist als Folge magnetischer Kurzschlüsse im Bereich größerer magnetisch komplexer Sonnenfleckengruppen auftreten. Flares strahlen im gesamten elektromagnetischen Spektrum. Häufig werden sie nach zwei Kriterien klassifiziert, zum einen nach der Flächenausdehnung während ihrer maximalen Intensität in der Emissionslinie des neutralen atomaren Wasserstoffs (Klassen 1, 2, 3, 4 mit Helligkeitsunterklassen F, N, B), zum anderen nach der maximalen Strahlungsleistung der Röntgenstrahlung im Wellenlängenbereich 0,1-0,8nm, gemessen am Oberrand der Erdatmosphäre (Klassen B, C, M, X).

Nachdem erst im Dezember 2019 das Sonnenfleckenminimum zwischen den Zyklen SSC 24 und SSC 25 eingetreten ist, kommt es zunächst einmal nicht überraschend, dass sich die Zahl an Sonneneruptionen auch im Jahr 2020 wie schon 2019 auf recht niedrigem Niveau befand. Lediglich mit 87 Flares ab der Klasse C (Strahlungsleistung > 0,000001W/m²) (z.Vgl. 2019: 32), von denen auch nur 2 Flares die Klasse M (Strahlungsleistung > 0,00001W/m²) erreichten (z.Vgl. 2019: 0), startete der neue Sonnenfleckenzyklus in sein erstes Jahr. Dabei war der November noch der aktivste Monat mit 55 Flares der Klasse C oder höher, was immerhin den höchsten Monatswert seit mehr als drei Jahren, seit September 2017, markiert. Vergleicht man diese Werte mit den Starts der beiden vergangenen Sonnenaktivitätzszyklen, so zeigt sich, dass auch im recht aktiven Zyklus SSC 23 in den ersten 12 Monaten nur 90 Flares der Klasse C oder höher eingetreten sind, von denen 4 auch den Schwellwert für die Klasse M überschreiten konnten. Der dann relativ schwache Zyklus SSC 24 musste sich in seinem ersten Jahr mit nur 28 Flares der Klasse C und keinem einzigen der Klasse M zufrieden geben. In der Übergangsphase zwischen den beiden Zyklen SSC 24 und SSC 25 wurden dann noch beachtliche Rekordwerte erzielt. So wurde von 16. Mai 2019 bis 28. Mai 2020, also insgesamt 379 Tage lang, keine einzige Sonneneruption ab der Klasse C registriert. Und gleich 951 Tage, vom 21. Oktober 2017 bis zum 28. Mai 2020, dauerte die Zeitspanne ohne einen einzigen Flare ab der Klasse M. Beide Andauern markieren die bislang längsten durchgehenden Zeitreihen seit vergleichbare Daten verfügbar sind, also zumindest bis zum Jahr 1995 zurück. Auf die Klasse X (Strahlungsleistung > 0,0001 W/m²) wartet man überhaupt schon seit 10. September 2017, das sind mittlerweile bereits 1208 Tage bis zum Jahresende 2020, vergeblich.

 
Protonen-Events:

Als Protonen-Event bezeichnet man das Eintreffen einer signifikanten Menge hochenergetischer Protonen, die mit großer Geschwindigkeit von der Sonne abgegeben werden und in der Folge das Sonnensystem rasend schnell durchqueren. Als Verursacher für solche Ereignisse kommen zum einen intensive Sonneneruptionen in Frage, eine erhebliche Anzahl starker Protonen-Events dürfte aber vor allem auf die beschleunigende Wirkung von Schockfronten expandierender CMEs (Koronaler Massenauswürfe) mit Schockstruktur zurückzuführen sein. Klassifiziert werden Protonen-Events nach ihrer Raumdurchflussstärke, die am Oberrand der Erdatmosphäre gemessen wird, wobei für die NOAA Sturmkategorien speziell Protonen mit Energiebeträgen über 10MeV in die Bewertung einfließen.

Nennenswerte Protonen-Events konnten im Jahr 2020 wie auch schon in den beiden Vorjahren nicht festgestellt werden, selbst der Schwellwert für die unterste Klasse S1 (Raumdurchflussstärke > 10p/srcm²s) blieb außer Reichweite. Damit befinden wir uns auch in dieser Statistik auf Rekordkurs, denn seit mittlerweile 1203 Tagen bis zum Jahresende 2020 sind solare Protonen-Events nach dieser Definition nicht mehr aufgetreten. Sollte dieser Zustand noch zumindest bis zum 15. Mai 2021 unverändert andauern, so wird auch hier eine Zeitspanne erreicht, welche die bislang längste darstellt seit vergleichbare Daten vorliegen, in diesem Fall zumindest bis zum Jahr 1976 zurück.

 
Geomagnetische Aktivität:

Die geomagnetische Aktivität wird vom Erdboden aus mittels Magnetometer erhoben und anhand verschiedener Indizes quantifiziert. Besonders gut für statistische Auswertungen eignet sich dabei der sogenannte Ap-Index, ein weltweit erfasster Wert, der den Grad der geomagnetischen Störungen, bereinigt von Standort- und Tagesgangeffekten, recht gut wiedergibt. Im Auftaktjahr des neuen Sonnenaktivitätszyklus SSC 25, also im Jahr 2020, blieb der Jahresmittelwert des Ap-Index erneut und insgesamt bereits das siebzehnte Jahr in Folge unter dem langjährigen Durchschnitt der Jahre 1933-2008 (SSC 17-23) von 14,4. Mit nur 5,3 markierte er zudem gleich den zweitniedrigsten Wert überhaupt seit Aufzeichnungsbeginn im Jahr 1933, lediglich im Jahr 2009 lag er noch tiefer. Am geomagnetisch aktivsten zeigte sich dabei noch der September mit einem Ap-Index von 8,6. Die geringste geomagnetische Aktivität wies der Juni auf mit einem Ap-Index von nur 3,8. Vergleicht man die aktuellen Monatswerte mit den entsprechenden langjährigen Mittelwerten der Jahre 1933-2008 (SSC 17-23), so befinden wir uns zum Jahresende 2020 in einer mittlerweile schon 39 Monate lang andauernden Phase (seit Oktober 2017), in welcher in jedem einzelnen Monat der Monatsmittelwert unterschritten wurde. Nur einmal seit 1933 gab es eine in dieser Hinsicht sogar noch länger andauernde Zeitspanne. Denn von Januar 2007 bis Juni 2012 schaffte es der Ap-Index gleich 66 Monate lang hintereinander nicht, den entsprechenden Monatsmittelwert der Referenzperiode 1933-2008 (SSC 17-23) auch nur zu erreichen.

Betrachtet man tägliche Ap-Werte und weist sie entsprechend einer Definition des NOAA SWPC sogenannten „Geomagnetischen Aktivitätslevels“ zu, so ergibt sich folgende Häufigkeitsverteilung für das Jahr 2020 (in den Spalten rechts der Vorjahreswert sowie kursiv der langjährige Durchschnitt 1933-2008):

quiet / ruhig 303 Tage 2019: 283 langjährig 140
unsettled / unbeständig 51 Tage 2019: 65 langjährig 118
active / aktiv 11 Tage 2019: 13 langjährig 70
minor storm / leichter Sturm 1 Tage 2019: 4 langjährig 25
major storm / starker Sturm 0 Tage 2019: 0 langjährig 10
severe storm / schwerer Sturm 0 Tage 2019: 0 langjährig 2

Geomagnetisch aktive Monate suchte man 2020 vergeblich, denn in keinem Monat außer September gab es weniger als 29 Tage, welche den Klassen „ruhig“ oder bestenfalls „unbeständig“ zugeordnet werden mussten. Im Juni waren nicht einmal mehr „unbeständige“ Tage dabei, womit es erst das zweite Mal überhaupt (nach Dezember 2009) passierte, dass in einem Monat gleich alle Tage der Kategorie „ruhig“ zuzuordnen waren. Als der noch aktivste Monat des Jahres 2020 konnte der September bezeichnet werden, in welchem Tage mit einem Aktivitätslevel „aktiv“ oder höher zwar auch nur insgesamt 8 mal vorkamen, aber immerhin 1 Tag davon sogar die Kategorie „leichter Sturm“ erreichte. Die Kategorie „starker Sturm“ ist aber bereits seit August 2018 nicht mehr aufgetreten, die Kategorie „schwerer Sturm“ nicht mehr seit September 2017.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt man auch, wenn man geomagnetische Stürme entsprechend den NOAA Space Weather Scales auswertet. Angelegt an die Saffir-Simpson-Skala für Hurrikanes sind auch die NOAA Space Weather Scales (Strahlungs-, Protonen-, Geomagnetische Stürme) in jeweils 5 ansteigende Stufen mit zunehmender Gefährlichkeit unterteilt. Während im Normalfall G1-Stürme, die durchschnittlich an etwa 88 Tagen pro Jahr auftreten, und G2-Stürme mit immerhin 36 Tagen nicht gerade seltene Ereignisse darstellen, kann mit G3-Stürmen noch an gut 13 Tagen pro Jahr gerechnet werden, während hingegen Stürme der Kategorie G4 mit durchschnittlich 4,5 Fällen und G5-Stürme mit gerade mal 0,3 Fällen pro Jahr nur noch sporadisch in Erscheinung treten. Im geomagnetisch extrem inaktiven Jahr 2020 gab es an nur 9 Tagen einen G1-Sturm (z.Vgl. 2019: 18) und an nur 1 Tag einen G2-Sturm (2019: 2). Beide Zahlen sind außergewöhnlich niedrig, erstere wurde in den vergangenen 88 Jahren nur ein einziges Mal noch unterboten, im Jahr 2009, zweitere stellt überhaupt den Tiefpunkt in der langen Beobachtungsreihe 1933-2020 dar. G3-Stürme (2019: 0) sowie G4-Stürme (2019: 0) wurden wie im Vorjahr gleich gar nicht registriert. Der bislang letzte G5-Sturm ist überhaupt schon sehr lange her und datiert vom 30. Oktober 2003.

 
Polarlichter:

Ein stark wachsendes mediales Interesse, die zunehmende Anzahl an Beobachtern, der rege Austausch über Internetforen und nicht zuletzt die Anwendung von lichtstarken, häufig auch automatischen Kameras führte in den letzten Jahren zu einer übermäßig rasch ansteigenden Zahl an Polarlichtbeobachtungen, die einen Vergleich mit früheren Jahren unmöglich macht. In den vergangenen Jahren konnten aber auch diese vielfältigen Möglichkeiten nicht mehr darüber hinwegtäuschen, dass wir uns derzeit in einer geomagnetisch außerordentlich inaktiven Zeit befinden. So konnten im deutschsprachigen Raum entsprechend dem umfangreichen und schön gestalteten Polarlichtarchiv von Andreas Möller im Jahr 2020 nur 6 Nächte (2019: 7) mit Polarlicht notiert werden, wobei alle genannten Ereignise praktisch nur fotografisch nachweisbar waren und auch dies nur im hohen Norden Deutschlands.

Andreas Pfoser, 15. Februar 2021

Quellen der Rohdaten:
NOAA, Space Weather Prediction Center
Deutsches GeoForschungsZentrum, Helmholtz-Zentrum, Potsdam
WDC SILSO, Royal Observatory of Belgium, Brussels

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